Dissertation:
Zwischen akademischem Software-Nachhaltigkeitsdesign und unternehmerischer Businessplanung

Softwaresysteme haben sich tief in unser persönliches und berufliches Leben eingegraben und verwischen die Grenzen zwischen der umgangssprachlich so genannten „realen Welt“ und der „digitalen Welt“. Folglich üben Softwaresysteme unbeabsichtigte Einflüsse auf nichttechnische Systeme aus, die die soziale, ökologische und wirtschaftliche Dimension umfassen. Diese drei Dimensionen werden gemeinhin unter dem Begriff Triple Bottom Line (TBL) zusammengefasst, der als Konzeptualisierung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ dient. Nachhaltigkeit ist kein vorübergehender Trend, sondern eine elementare Anforderung an die Gesellschaft von heute und morgen, die Softwarepraktiker mit einem neuen Aufgabenspektrum und einer neuen Verantwortung konfrontiert.

Diese Dissertation zielt darauf ab, die Kluft zwischen Wissenschaft und Industrie im Bereich der Software-Nachhaltigkeitsgestaltung zu überbrücken. Ein Vergleich dieser beiden Seiten zeigt ein unterschiedliches Bewusstsein für die Auswirkungen von Softwareprodukten und -dienstleistungen sowie ein unterschiedliches Niveau an theoretischem Wissen und praktischen Ansätzen zur Festlegung und Erreichung von Nachhaltigkeitszielen. Um diese Lücke zu schließen, wurde insbesondere auf die Vorarbeiten der Unterzeichner des Karlskrona-Manifests für Nachhaltigkeitsdesign zurückgegriffen, die das Sustainability Awareness Framework (SusAF) entwickelt haben. Das SusAF ist ein Werkzeug, das Softwarepraktiker dabei unterstützt, die mehrdimensionalen Auswirkungen von Software zu identifizieren, damit sie in der Entwurfsphase als Anforderungen berücksichtigt werden können. Unter Verwendung der Design Science Research Methodology (DSRM) wird in dieser Dissertation das SusAF erweitert und auf die spezifischen Bedürfnisse von Softwareunternehmen zugeschnitten. Durch eine Abfolge iterativer Fallstudien ist ein Artefakt mit dem Namen Business-oriented Extension of the Sustainability Awareness Framework (BE-SusAF) entstanden.

Das BE-SusAF trägt vor allem durch die Einbettung von vier Prinzipien in industrielle Software-Design-Ansätze bei, zusammengefasst als die Four Is: 1) Interface-Position für die Orchestrierung des Artefakts, 2) Integration externer Stakeholder in den Anforderungserhebungsprozess, 3) Implementierung der SusAF-Ergebnisse in Business-Design-Modelle und 4) Incorporation organisatorischer Bedingungen. Während das Artefakt Softwareunternehmen in die Lage versetzt, Nachhaltigkeitsherausforderungen zu meistern, trägt die Forschung rund um das Artefakt generell zum Transfer von der Wissenschaft in die Industrie im Bereich der Software-Nachhaltigkeit bei – ein Nexus, der aufgrund der fortschreitenden digitalen Transformation an Bedeutung gewinnt.


Artefakt:
Business-Oriented Extension of the Sustainability Awareness Framework (BE-SusAF)

I Vorbereitung

  • Auswahl eines Mitarbeiters in einer Schnittstellenfunktion für die Planung, Verwaltung und Nachbereitung des Artefakts. Dieser Mitarbeiter könnte jemand in einer managementorientierten Rolle sein, zum Beispiel der IT-Produktmanager oder Product Owner.
  • Partizipatorischer Ansatz unter Einbeziehung eines breiten Spektrums externer Interessengruppen: Um diese Ziele zu erreichen, ist eine vorherige Analyse der Interessengruppen erforderlich. Während des Workshops ist es von entscheidender Bedeutung, die Einbeziehung der Interessengruppen zu gewährleisten und auf ihre unterschiedlichen Hintergründe und Motivationen einzugehen. Die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen ist sehr empfehlenswert, da sie über Fachwissen bei der Rekrutierung von Testteilnehmern verfügen und die Objektivität gemäß den Grundsätzen der wissenschaftlichen Strenge wahren.

II Workshop

  • Zeitrahmen: Die Berücksichtigung des Zeitrahmens ist wichtig, wie unsere Umfragen gezeigt haben. Idealerweise sollten zwei Arbeitstage für den Workshop-Teil des Artefakts eingeplant werden (d. h. ohne Vor- und Nachbereitung): Acht Stunden für die externen Stakeholder (Präsentation, VPC, SusAF) und weitere vier Stunden für die internen Stakeholder mit dem TL-BMC.
  • Einführungspräsentation: Eine Einführungspräsentation wird empfohlen, um den Wissensstand der Beteiligten zu erweitern und so grundlegende Wissenslücken zu beseitigen. In der Vorbereitungsphase kann den Beteiligten auch einführendes Material zur Verfügung gestellt werden, um sie im Vorfeld zu informieren.
  • Value Proposition Canvas (VPC): Der potenzielle Kunde oder Nutzer nimmt innerhalb des Stakeholder-Ensembles eine besondere Stellung ein. Der Workshop sollte das VPC (Osterwalder und Pigneur, 2010) nutzen, da es sowohl die Kundenseite (Bedürfnisse, Aufgaben, Herausforderungen, Wünsche, etc.) als auch die Produktseite (Merkmale, Eigenschaften, Funktionen, etc.) verbindet und visualisiert.
  • Sustainability Awareness Framework (SusAF): Die Arbeit am SusAF ist das Herzstück des Artefakts.
  • Traffic Light Business Model Canvas (TL-BMC): Nachdem die Funktionalität (im Rahmen der VPC) und die Anforderungen (im Rahmen der SusAF) der Software erfasst wurden, sollten Aspekte aus der Geschäftsmodellierung genutzt werden. Hier bot sich das Business Model Canvas (BMC) an, das die neun Schlüsselfaktoren des BMC zusammenfasst und miteinander in Beziehung setzt (Osterwalder und Pigneur, 2010). Das BMC wurde so modifiziert, dass die Beteiligten es in drei Stufen einteilen: grün – nachhaltig, gelb – angemessen und rot – nicht nachhaltig. Die Verteilung auf die Nachhaltigkeitsstufen wird dann von den Stakeholdern selbst während der Diskussion vorgenommen. Das erweiterte Instrument erinnert an Ampeln im Straßenverkehr, daher der Name „Traffic Light Business Model Canvas“.

Value Proposition Canvas (VPC)

Sustainability Awareness Framework (SusAF)

Traffic Light Business Model Canvas (TL-BMC)

III Follow-up

  • Finanzierung der Forschung: In der Folgephase erweist sich die Einbeziehung öffentlicher Mittel als wertvolles Instrument zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten. Öffentliche Fördermittel können dazu beitragen, die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in den Geschäftsplan durch verschiedene Mittel zu verbessern, z. B. durch finanzielle Unterstützung, Schulungsinitiativen für Mitarbeiter und Kooperationen mit Forschungseinrichtungen. Finanzierungsmöglichkeiten stehen kleinen, mittleren und großen Softwareunternehmen weltweit zur Verfügung und erstrecken sich über Länder auf allen Kontinenten.
  • Übertragung auf den Geschäfts- und Finanzplan: Die Ergebnisse des TL-BMC liefern Anhaltspunkte für die Einarbeitung in den endgültigen Geschäfts- und Finanzplan der Software. Die Betrachtung der Wirtschaftlichkeit zeigt, dass es sich wahrscheinlich als schwierig oder unmöglich erweisen dürfte, nur die Aspekte auf der grünen Ebene umzusetzen. Vielmehr sollte die Prioritätensetzung auf Basis der Stakeholder erfolgen.

“Four Is”:
Die Grundprinzipien

  • Interface-Position für die Orchestrierung des Artefakts (z.B. IT-Produktmanager) sind für die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des SusAF geeignet, da sie (im Gegensatz zu den eher technologieorientierten SEs) in ihrer Funktion interdisziplinäres Knowhow anwenden
  • Integration externer Stakeholder in den Anforderungserhebungsprozess in den Workshop-Sitzungen durch partizipatives Design, das die Berücksichtigung nachhaltigkeitsbezogener inhaltlicher Anforderungen und die Ermittlung von Prioritäten ermöglicht.
  • Implementierung der SusAF-Ergebnisse in Geschäftsmodelle, um die Umsetzung von Nachhaltigkeitsanforderungen in den Geschäfts- und Finanzplänen von Softwareunternehmen zu erleichtern.
  • Inkorperation der organisatorischen Bedingungen in Softwareunternehmen, wie z.B. die Zuweisung einer Schnittstellenfunktion, z.B. des IT-Produktmanagers, zur Orchestrierung des Artefakts, die Anerkennung von Zeitbeschränkungen als limitierender Faktor in jedem Schritt des Artefakts und die Integration von Finanzierungsmöglichkeiten.